Amerikanische Veterinärmediziner und Hunde

Fachstimmen

Aufstand der Tierärzte

orscher haben die in Deutschland geltenden Regelungen zum Schutz vor gefährlichen Hunderassen heftig kritisiert. Auf einer Tagung der Internationalen Gesellschaft für Anthrozoologie in Davis, Kalifornien, rügten sie, dass durch die in den letzten Jahren in Kraft getretenen Vorschriften Hunde psychisch und physisch gequält würden. Nach Ansicht der US-Forscher ist es "wissenschaftlich unmöglich", zwischen friedlichen und aggressiven Hundezüchtungen zu unterscheiden. Noch nicht einmal für die Einordnung der Vierbeiner in Rassen gebe es eine ausreichende wissenschaftliche Grundlage, Auch wenn sie sich äußerlich stark unterscheiden, seien Chihuahua-Hündchen, Deutsche Schäferhunde und sogar Wölfe genetisch weitgehend identisch, Spezielle Verhaltensmerkmale der Vierbeiner seien so gut wie immer antrainiert und nicht das Ergebnis von vererbbaren Charaktereigenschaften. Auch die zum Nachweis der Gefährlichkeit herangezogenen Beiß-Statistiken haben in den kritischen Augen der US-Forscher keinen Bestand: "Es gibt ein Meldeproblem", konstatiert Anthony Pobderscek, Tiermediziner an der University of Cambridge. "Golden Retriever beißen, auch Labrador Retriever beißen aber bei ihnen hängt es keiner an die große Glocke."

Spiegel 34/2001

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Resolution der Mitgliederversammlung
des Bundesverbandes Praktischer Tierärzte e.V.
Zur Gefahrenprävention bei Hunden

Die Mitgliederversammlung des Bundesverbandes Praktischer Tierärzte e.V. stellt fest:

Die erlassenen Hundegefahren-Verordnungen sind ein Kurieren an Symptomen und lösen das Problem nicht. Ihr Vollzug ist in Ermangelung qualifizierter Personalausstattung auch nicht zu sichern.

Der entscheidende Beitrag zu einer Gefahrenprävention liegt im Erlass einer im Tierschutz begründeten Hundezucht Verordnung des Bundes, ggf. im Rahmen der in Arbeit befindlichen Tierschutz-Hundeverordnung.

Die Mitgliederversammlung des Bundesverbandes Praktischer Tierärzte e.V. fordert alle Bundesländer auf, bei der voraussichtlich am 22./23. November 2000 stattfindenden Konferenz der Innenminister und Senatoren der Länder die materielle Rechtsausgestal-tung der Gefahrenverordnungen so vorzunehmen, dass sie die Grundnormen des deut-schen Tierschutzgesetzes wahren, wissenschaftlichem Kenntnisstand entsprechen und einen Reiseverkehr zwischen den Bundesländern ohne Verstoß gegen unbekannte andere Landesvorschriften gewährleisten.

Im Einzelnen heißt dies:

Keine Festlegung von Hunderassen als vermutet gefährliche Tiere.


Aufhebung von generellem Leinen- und Maulkorbzwang für einzelne Rassen oder Hunde bestimmter Körpergröße oder -gewichtes.

Erstreckung des Anwendungsbereiches von Gefahrenverordnungen auf individuell gefährliche Tiere.

Festlegung eines definierten und auf wissenschaftlicher Grundlage erarbeiteten Wesenstestes als Anlage der Länderverordnungen.

Aufhebung von Zwangsmaßnahmen für Tiere mit bestandenem Wesenstest.

Begründung:

Die Qualifizierung einer Reihe von Rassen als a priori (vermutet oder unwiderlegbar vermutet) gefährlich, ist nicht haltbar. Es gibt hierfür keinen wissenschaftlichen Nachweis. Die Gefährlichkeit eines Hundes ist ein individuelles Merkmal und nicht grundsätzliches Rassenmerkmal. Gefährliche Hunde gibt es quer durch alle Rassen.

Die allgemein vorgesehenen Zwangsmaßnahmen (Leinen- und Maulkorbzwang) für die vermutet gefährlichen Hunde sind

a. tierschutzwidrig
Sie verhindern die laut Tierschutzgesetz zu gewährleistende artgemäße Haltung und berühren den Tatbestand körperlichen Leidens (fehlende Bewegungsmöglichkeit, Behinderung der Regulierung der Körpertemperatur etc.)

b. ethnologisch kontraproduktiv
Durch Leinenführung wird Sozialkontakt behindert. Fehlender Sozialkontakt und Beschränkung des Bewegungsspielraumes sind aggressionsfördernde Elemente. Ethologisch führt Bewegungsmangel zu einer sinkenden Reizschwelle. Der Hund wird aggressiver.

c. unnötige Doppelsicherung
Bei Maulkorbzwang erübrigt sich regelmäßig ein Leinenzwang und umgekehrt.

Als Anhang beigefügt ist eine Übersicht mit drei Abschnitten: "Wie kommt es zum gefährlichen/aggressiven Hund", "Ausstattungsmerkmale für eine Verordnung zur Abwehr von Gefahren durch gefährliche Hunde" und "Inhalte einer Hundezuchtverordnung".

Leipzig, den 13.10.2000

Anhang


I. Wie kommt es zum gefährlichen/aggressiven Hund

Durch das individuell genetische Potential eines zur Zucht verwendeten Tieres.

Durch ungeeignete Aufzuchtbedingungen in der Prägungs- und Sozialisierungsphase.

Mangelnder Tier- und Personenkontakt und falsche Haltungsbedingungen führen zu Deprivationsschäden, d.h. neurologisch werden Gehirnsektoren nicht entsprechend ausgebildet mit der Folge von Verhaltensstörungen der betroffenen Tiere.

(Anmerkung: Großgewerbliche Hundezuchtanlagen stellen ein Vermehrungspotential solchermaßen geschädigter Tiere dar. Der Tierschutz wird hierbei nachhaltig berührt. Bei einem Potential von jährlich 600.000 Welpen in der Bundesrepublik ist der Erlass einer entsprechenden Zuchtordnung geboten.)

Falsches Handling durch den Tierbesitzer

Falsches Handling kann beruhen auf:
- ethologischer Unkenntnis über Hundeverhalten (unklares Rangverhältnis Mensch/Tier) - Erziehung und Missbrauch von naturgegebenen Anlagen eines Hundes

Durch Krankheitsgeschehen (Organerkrankungen)


II. Ausstattungsmerkmale für eine Verordnung zur Abwehr von Gefahren durch gefährliche Hunde

Einführung einer generellen Kennzeichnungs- und Registrierungspflicht in Dateien, die zu vernetzen sind.

Aufhebung des Leinen- und Maulkorbzwanges für ganze Rassen

Anzeigepflicht für auffällig gewordene/aggressiv aufgefallene Tiere

Wesenstest für auffällig gewordene Tiere

Aufgabenstellung:

Beurteilung des Tieres


Empfehlung für verhaltenstherapeutische Maßnahmen bei nicht bestandenem Wesenstest
a) Kastrationsgebot zur Vermeidung von Nachzucht

b) u.U. Empfehlung zur Ergreifung anderer Maßnahmen (in letzter Konsequenz zur schmerzlosen Tötung)

c) Empfehlung zu Leinen- oder Maulkorbzwang
bei bestandenem Wesenstest Aufhebung ggf. schon verordneter Zwangsmaßnahmen.

Durchführung

Durchführung des Wesenstests durch Tierärzte, die auf dem Gebiet der Ethologie fort- und weitergebildet sind.


Bei Fehlentwicklung von Hunden (individuell gefährlichen Hunden): Sachkundenachweis über Hundeverhalten, tierschutzrechtliche Vorschriften und Tiergesundheit


III. Materielle Ausstattung von Bestimmungen einer Zuchtordnung im Rahmen der Tierschutz-Hundeverordnung

Wesenstest für alle Zuchthunde

Erlaubnis zur Zucht nur mit Tieren mit bestandenem Wesenstest

Sachkundeprüfung für Züchter über Hundeverhalten, Tiergesundheit, tierschutzrechtliche Bestimmungen, Krankheitsbilder, Haltungsbedingungen.

Eng gefasste Regelungen der Zuchtbedingungen zur Vermeidung morphologischer Schäden der Welpen und Sicherung einer artgerechten Präge- und Sozialisierungsphase durch ein angemessenes (Zahlen-) Verhältnis von Zuchttieren zu Betreuungspersonen und Ausgestaltung der Haltungsbedingungen. (Verbot großgewerblicher Massenzuchtanlagen)

Leipzig, den 13. Oktober 2000

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Kampfhunde: Tierärzte gegen Rasseverbot
Gesellschaft Schweizerischer Tierärzte GST ,Christian Straumann, Bern

Christian Straumann


Kampfhunde: Tierärzte gegen Rasseverbot
Forderung nach fundierten Lösungsansätzen

Die Gesellschaft Schweizerischer Tierärzte GST und die Arbeitsgruppe gefährliche Hunde AGGH beschäftigen sich seit längerem mit der Aggressivität bei Hunden. Korrekte Erziehung von Hunden und verant-wortungsvolle Zucht als präventive Massnahmen sowie Kennzeichung und Meldepflicht zur gezielten Erkennung und Repression müssen sich er-gänzen.

Welpenspielgruppen sind erwiesenermassen eine geeignete Massnahme zur Sozialisierung von Hunden. Auch Hunde, die aufgrund ihrer Rassen-zugehörigkeit fälschlich als aggressiv bezeichnet werden, lernen hier den Umgang mit Mensch und anderen Hunden. Welpen mit auffälligem Verhalten können hier auch gezielt betreut werden. Auch Erziehungs-kurse für ältere Hunde versprechen viel Erfolg, wenn es um korrektes Verhalten von Hund und Besitzer in kritischen Situationen geht.
Vermehrt muss aber in der Zucht darauf geachtet werden, dass Hunde mit einer guten Sozialisierungsfähigkeit gezüchtet werden, bei denen diese Sozialisierung also zum gewünschten Erfolg führt. Das Messen der Aggression eines Hundes ist aber als Indikator der Soziali-sierungsfähigkeit ungeeignet; es gibt andere Tests, die diese er-fassen.

Die Einführung eines Qualitätslabels bei Welpenspielgruppen und Erziehungskursen könnte den Hundehaltern die Fachkundigkeit der Leiter garantieren. GST und Arbeitsgruppe verlangen ein solches Label. Die Teilnahme an diesen Kursen muss zum guten Ton der Hundehaltung gehören. Die Schweizerische Kynologische Gesellschaft SKG hat bereits Anstrengungen in diese Richtung unternommen.

Ausserdem fordern GST und AGGH die Einführung eines Obligatoriums der elektronischen Kennzeichnung mittels Transponder (Mikrochip). Zusammen mit der Einführung der Meldepflicht für Hundebisse können Hunde erfasst werden, die wiederholt aggressiv reagieren. Diese Problemhunde müssen - nach eingehender Abklärung durch den Tierarzt - umerzogen oder im schlimmsten Fall eingeschläfert werden.

GST und AGGH sind gegen die Einführung einer generellen Bewilli-gungspflicht für die Haltung von Hunden. Dies entspricht der Ein-führung eines Waffenscheins für Hunde. Die Attraktivität des Hundes als illegales Kampftier würde dadurch gesteigert und der Hund zu einer gefühllosen Waffe degradiert. Der hohe Standard, der bei uns in Tierschutzfragen erreicht worden ist, darf nicht zunichte gemacht werden.

Genauso kann auch die Verteufelung einzelner Rassen keine geeignete Massnahme sein. Das Aussehen eines Hundes sagt nichts über seinen Charakter aus: Der Grossteil der Bisswunden bei Kindern werden vom eigenen Familienhund verursacht.

Arbeitsgruppe und GST plädieren aus diesem Grund für eine effiziente Prävention auf der Ebene der Züchter und Halter, für Informations-kampagnen in der Öffentlichkeit und in Schulen, sowie für die Ein-führung von Massnahmen, die eine gezielte Repression ermöglichen.

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Lehrte, den 30. Juni 2000
Kampfhundeproblematik
TVT fordert: Auch in der jetzigen Situation den Tierschutz nicht außer acht lassen

TVT - Mit großer Sorge verfolgt die Tierärztliche Vereinigung für Tierschutz (TVT) die teilweise hektischen Bemühungen, mit denen nach der schrecklichen Tragödie in Hamburg jetzt das Problem gefährlicher Hunde gelöst werden soll. Viele Politiker sprechen offen aus, was mit den neuen Verordnungen und Gesetzen erreicht werden soll und was auch von breiten Teilen der Bevölkerung gefordert wird: Möglichst viele Hunde der betroffenen Rassen sollen für immer verschwinden und eingeschläfert werden.

In eilig auf den Weg gebrachten Erlassen, Verordnungen und Gesetzen werden von den Innenministerien (die nicht für den Tierschutz zuständig sind!) des Bundes und der Länder sowie den Städten und Gemeinden Richtlinien erlassen, um das Problem der gefährlichen Hunde zu beseitigen. In diesen Maßnahmenkatalogen ist für viele Tiere die Euthanasie vorgesehen.

Die TVT mahnt alle Verantwortlichen, auch in der gegenwärtigen Situation, in der verständliche Trauer und Wut vorherrschen, die Würde der Tiere und ihr grundsätzliches Recht auf Leben nicht außer acht zu lassen. Dies gilt in besonderem Maße für solche Individuen, die nicht bösartig sind und ihre Friedfertigkeit und Anhänglichkeit dem Menschen gegenüber tagtäglich unter Beweis stellen.

Aber auch Tiere, die wegen ihrer Aggressivität getötet werden müssen - und das werden möglicherweise mehrere tausend sein -, haben einen Anspruch auf einen schonenden Umgang und einen schmerzfreien Tod. Die TVT vermisst in den Entwürfen, soweit sie bekannt sind, klare Ausführungsbestimmungen, insbesondere auch darüber, wer denn die Tötungen durchführen soll, und wo und wie das zu geschehen hat. Ohne derartige Bestimmungen sind aber alle gutgemeinten Absichten Makulatur und werden ihren Zweck, einen besseren Schutz der Bevölkerung zu erreichen, verfehlen.

Das Tierschutzgesetz verbietet es, Wirbeltiere "ohne vernünftigen Grund" (§17) zu töten. In vielen Fällen ist durch die Gefährlichkeit der Individuen ein solcher Grund fraglos gegeben. Ob sich daraus eine pauschale Berechtigung ableiten lässt, möglichst viele Tiere bestimmter Rassen auszumerzen, wie es viele in Politik und Gesellschaft jetzt fordern, muss dagegen bezweifelt werden.

Das Tierschutzgesetz schreibt ferner vor, dass Wirbeltiere nur töten darf, "wer die dazu notwendigen Kenntnisse und Fähigkeiten hat" (§ 4,1). Tierärzte sind zwar ausgebildet, Tiere schmerzlos einzuschläfern, etwa um sie von einem unheilbaren Leiden zu erlösen. Tierärzte sind gemäß ihrer Berufsordnung die "berufenen Schützer der Tiere". Daher es kann nicht ihre Aufgabe sein, die Auswüchse einer fehlgeleiteten Hundehaltung, die von Politik und Behörden bislang hingenommen worden ist, zu beseitigen und massenhaft Hunde zu töten. Bereits im Oktober 1997 hat die TVT auf die Problematik gefährlicher Hunde hingewiesen und wirksame Maßnahmen gefordert. Die von ihr damals kritisierte drastische Erhöhung der Hundesteuer für manche Rassen hat sich, wie man heute sieht, als ein untaugliches Mittel erwiesen. Wer jetzt einschneidende Maßnahmen vorschreibt, der hat auch die Verpflichtung, klar zu definieren unter welchen Bedingungen diese Maßnahmen vollzogen werden sollen.

Der Codex veterinarius fordert von den Tierärzten, sich "Im Zweifel für das Tier" zu entscheiden. Auch darf nach dieser ethischen Richtschnur bei der Abwägung von gegensätzlichen Interessen und Bedürfnissen das Interesse des Menschen nicht grundsätzlich höher zu bewerten sein als das des Tieres. Dieser Grundsatz schließt die Wahrung des Schutzbedürfnisses des Menschen keinesfalls aus! Aber er darf bei solchen Hunden, von denen keine Gefahr ausgeht, nicht außer acht gelassen werden.

Die TVT erinnert zugleich an die Debatte vor wenigen Monaten um die Aufnahme des Tierschutzes in das Grundgesetz. Mit allgemeinem Bedauern und Unverständnis wurde beklagt, dass diese Gesetzesänderung im Bundestag nicht durchgesetzt werden konnte. Daher darf es nun nicht sein, dass die Wertvorstellungen, aus denen dieses tiefe Anliegen resultiert, fortan für Hunde nicht mehr gelten sollen, und dass ihr Leben eilfertig und pauschal zur Disposition gestellt wird.

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Tierärzte zum Thema "Kampfhunde"

Aus aktuellem Anlass tagten am 29. Juli Tierärzte aus ganz Deutschland
zum Thema "Gefährliche Hunde / "Kampfhunde"" in der Tierärztlichen
Hochschule Hannover.


Die 350 Teilnehmer setzten sich insbesondere mit der niedersächsischen
Gefahrtier-Verordnung auseinander, die Anfang Juli in einem Eilver-fahren verabschiedet worden war. Sie kritisierten, dass sie ohne
tiermedizinischen Sachverstand erlassen worden sei. "Die Verordnung muss von den Politikern überdacht und verändert werden", fasste Tagungsleiter Prof. Dr. Ingo Nolte von der Tierärztlichen Hochschule zusammen.
Die Referenten betrachteten das Thema aus molekulargenetischer,
verhaltensbiologischer und juristischer Sicht; auch der Wesenstest wurde vorgestellt.

Zu den Beiträgen im Einzelnen:

Prof. Dr. Ottmar Distl vom Institut für Tierzucht und Vererbungs-forschung der TiHo ging auf die genetischen Grundlagen von Rassen-identifikation und Verhaltensmerkmalen ein. Mit seinergrundsätz-lichen Feststellung, molekulargenetisch könne man die Hunderassen nicht differenzieren, stellte er die in der Verordnung enthaltene Rassenliste in Frage. Es ließe sich bis jetzt auch nicht wissen-schaftlich belegen, dass übersteigerte Aggression die Folge lang-dauernder Selektion auf dieses Verhaltensmerkmal sei.

Wer ist also schuld am bösen Hund, fragte Dr. Barbara Schöning,
Präsidentin der Tierärztekammer Hamburg. Wie wird ein Hund zum
gefährlichen Hund? Die Antwort: Wenn ein Hund übermäßig aggressiv sei,
liege dies an der mangelnden Sachkunde des Menschen. Erziehung und
Haltung des Hundes spielten eine wichtige Rolle. Aggressionsverhalten
gehöre zwar zum normalen Verhaltensrepertoire eines jeden Hundes; doch
Aggression sei kein Selbstzweck. Sie trete in der Regel in einer
bestimmten Situation als angemessene Reaktion auf entsprechende Reize
auf. Die Umwelt und Lernprozesse haben entscheidenden Einfluss auf
Qualität und Quantität des Aggressionsverhaltens eines Hundes.

Dr. Dorit Feddersen-Petersen vom Institut für Haustierkunde der
Christian-Albrechts-Universität Kiel unterstützte diesen Standpunkt mit ihrem Referat "Biologie der Aggression bei Wölfen und Haus-hunden". Hunde könnten als domestizierte Wölfe nur im Rahmen ihrer biologischen Grenzen existieren: Sie seien hochsozial, ausgerichtet auf ein Leben in Gruppen, die hierarchisch strukturiert seien und die Möglichkeit zur Zusammenarbeit böten. Ihre soziale Kommunikation sei darauf ausgerichtet, sowohl einen sozialen Status (Rang) zu erreichen bzw. zu verteidigen als auch Beziehungen, Bindungen mit denselben, bekannten Sozialpartnern zu etablieren.
Das Aggressionsverhalten sei ein obligatorisches Regulativ für das
Zusammenleben von Hunden und muss vom Menschen erkannt/gekannt und durch Training biologisch korrekt gelenkt werden. Geschieht dieses nicht bzw. wird Angriffsverhalten einseitig gefördert (Zucht, Ausbildung), resultieren Verhaltensstörungen, die ein erhöhtes Gefahrenpotential mit sich bringen.

Dr. Maria Dayen vom Niedersächsischen Ministerium für Ernährung,
Landwirtschaft und Forsten beschäftigte sich mit der "Juristischen
Bewertung des "gefährlichen" Hundes" und erklärte die Erwägungen, die
zur Niedersächsischen Gefahrtier-Verordnung führten. Sie bezog sich
dabei auf das Tierschutzgesetz und das Gefahrenabwehrrecht.
Die (auch) auf den "gefährlichen" Hund anwendbaren Tierschutz-vorschriften, wie das Verbot der Aggressionsdressur und -zucht, hätten daher auch vornehmlich zum Ziel, das Entstehen "gefährlicher" Hunde zu verhindern, um sie nicht Haltungsbedingungen unterwerfen zu müssen, die aus Sicherheitsgründen sehr starken Einschränkungen unterliegen. Das Gefahrenabwehrrecht habe dagegen überwiegend den Schutz des Menschen zum Ziel und berechtige die Verwaltungs- und Polizeibehörden hierzu Maßnahmen zu ergreifen, die auch bis zur Einschränkung der Grundrechte gehen könnten. Die Maßnahmen sollen neben einem abwehrenden, zurückdrängenden Charakter auch präventiv wirken.
Aufgrund dieser Erwägungen enthalte die Niedersächsische Gefahrtier-Verordnung, die am 08.07.2000 in Kraft getreten ist, ein Haltungs-, Zucht- und Vermehrungsverbot für Hunde der Rassen Bullterrier und American Staffordshire Terrier, Hunden des Typs Pit Bull Terrier
sowie Kreuzungen mit Hunden dieser Rassen bzw. dieses Typs, und
Vorgaben, unter denen die Haltung dieser Hunde ausnahmsweise erlaubt
werden kann. Weitere Hunderassen, die in der Anlage 1 aufgezählt sind,
werden mit einem Maulkorb- und Leinenzwang belegt, der ebenfalls unter
vorgegebenen Bedingungen aufgehoben werden kann.

Dr. Heinrich Bottermann vom nordrhein-westfälischen Ministerium für
Umwelt, Raumforschung und Landwirtschaft stellte fest, dass in den
Ländern heterogene Verordnungen, die durch unterschiedliche Intentionen bedingt seien, erlassen würden. Eine bundesrechtliche Regelungskompetenz fehle; Rechtslücken auf Bundesebene müssten geschlossen werden; die Länder müssten ihre Regelungsansätze harmonisieren.

Dr. Christiane Mehl und Dr. Bernd Wichern, Gewerbe- und Veterinär-abteilung der Stadt Hannover, schilderten die Erfahrungen der
veterinärmedizinischen Überwachungsbehörde mit gefährlichen Hunden. Sie stellten das soziale Umfeld und die verschiedenen Berufsgruppen unter den Antragstellern für eine Ausnahmegenehmigung für gefährliche Hunde nach der Gefahrtierverordnung vor. So sind 60 Prozent der Halter unter 30 Jahre alt, 23,2 Prozent Arbeiter und 20,5 Prozent einfache Angestellte.

Einer der Höhepunkte der Tagung war sicherlich der Vortrag der
Tierärztin Esther Schalke vom Tierschutzzentrum der Tierärztlichen
Hochschule Hannover, die zum ersten Mal den Wesenstest für Kampfhunde
öffentlich vorstellte. Sie erläuterte die Bestandteile des Wesenstests
und nach welchen Kriterien der Tierarzt Aggressivität beurteilen kann.
Getestet wird das Ausdrucks- und Kommunikationsverhalten des Hundes in
alltäglichen Situationen. Zum Beispiel: Der Hundebesitzer fordert den
Hund zum Spielen auf; eine Person geht vorbei und starrt den Hund an.
Verschiedene andere Personen gehen vorbei: mit langem Mantel, mit Stock (Blinder), ein Betrunkener, mit Angstschweiß. Menschen berühren den Hund zufällig. Außerdem wird der Kontakt mit Artgenossen untersucht. Wie der Hund auf Kinder reagiert, ist allerdings aus ethischen Gründen nicht testbar. Das Verhalten wird mit einem Punktesystem bewertet. Außerdem verfasst der testende "fachkundige Tierarzt" ein Gutachten. Der Wesenstest ist die Basis, auf der die zuständige Behörde entscheidet, wie mit dem "gefährlichen Hund" weiterzuverfahren ist.

Dr. Heike Pankatz vom Deutschen Tierschutzbund bezog zu den ver-schiedenen Verordnungen der Bundesländer Stellung. Der Deutsche
Tierschutzbund kritisiert, dass den verschiedenen Landeshundever-ordnungen keine einheitliche Regelung zugrunde liege. Es herrsche ein regelrechtes Verordnungschaos, Hundehalter seien sehr verunsichert. Den Verordnungsgebern wirft der Tierschutzbund eine übereilte Vorgehensweise vor; Tierschutzorganisationen und Sachverständige seien bei der Ausarbeitung der Verordnungstexte nicht gefragt worden. Der Deutsche Tierschutzbund fordere erneut eine bundeseinheitliche Regelung in Form eines Heimtiergesetzes, um die bestehenden Gesetzes-lücken hinsichtlich Zucht, Handel, Haltung und Ausbildung von Tieren und hier speziell Hunden zu schließen.

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Stellungnahme des Bundesverbandes Praktischer Tierärzte e.V.
zu den in Vorbereitung befindlichen Kampfhunde-Eilverordnungen

I. Vorbemerkungen

Das Kampfhunddrama von Hamburg ist erschütternd. Das daraus abgeleitete Ziel, Fälle der Wiederholung zu vermeiden und die Bevölkerung zu schützen, ist eine zwingende Notwendigkeit.

Vordringliche Aufgabe der politisch Verantwortlichen muss es daher sein, dem Schutzinteresse der Bevölkerung umgehend Rechnung zu tragen. Diesem Schutzinteresse des Menschen kommt höchste Priorität zu.

Neue Rechtsvorschriften werden nur von Erfolg sein, wenn sie verwirklichbar sind und konsequent durchgesetzt werden, denn die in den Bundesländern und Gemeinden bisher bestehenden Verordnungen wären für den Schutz der Bevölkerung ausreichend gewesen, wären die darin enthaltenen Ordnungsmittel konsequent genutzt und der Vollzug kontrolliert worden.

Die jetzt im Wege von Eilverordnungen angedachten Maßnahmen lassen zu einem guten Teil erkennen, dass sie tier- und verhaltensbezogen zu unspezifisch sind und gerichtlicher Überprüfung kaum standhalten werden. Sie vernachlässigen die Unterscheidung zwischen gefährlichen und ungefährlichen Tieren.

Der Begriff "Kampfhundrasse" geht fehl. In jeder Rasse finden sich neben den ungefährlichen Tieren auch immer wieder gefährliche Tiere.

Die angedachten Maßnahmen betreffen im Wesentlichen das Tier und nicht den das Tier missbrauchenden Menschen.

Richtig wäre es, den Missbrauch treibenden Menschen (Züchter und Halter) in den Mittelpunkt der Maßnahmen zu stellen. Den Eilverordnungen folgende gesetzliche Regelungen müssen den Menschen betreffende Vorsorgemaßnahmen enthalten, die den Missbrauch der Tiere zu unterbinden geeignet sind. In der "Kampfhunde"-Problematik spiegelt sich ein generelles gesellschaftliches Problem wider: die zunehmende Gewaltbereitschaft.

Die zu treffenden Maßnahmen dürfen nicht in einen Rund-um-Schlag gegen eine Vielzahl (großer) Hunde ausarten. Sie müssen auf eine Sicherung einer sozial korrekten Züchtung und Haltung der Tiere ausgerichtet sein.

Ein permanenter Leinen- und Maulkorbzwang für alle großen Hunderassen ist sowohl aus ethologischer Sicht (vgl. die Anmerkung zu Punkt II, 1) als auch medizinisch nicht vertretbar, da Hunde einen Temperaturausgleich nur über die Atmung mit geöffnetem Fang unter Einbeziehung der Zunge regulieren können (Hecheln).

II. Aus Sicht des praktischen Tierarztes aus der gegebenen Situation zu ziehende Konsequenzen

Der Bundesverband Praktischer Tierärzte e.V. appelliert daher an alle verantwortlichen Politiker, sachgemäße und rechtlich fundierte Entscheidungen zu treffen.

Der Bundesverband Praktischer Tierärzte e.V. schlägt bis zu einer gesetzlichen Regelung als Dringlichkeitslösung zur Gefahrenabwehr vor:

Einen prinzipiellen Leinen- und Maulkorbzwang für die Rassen American Pitbull, American Staffordshire, Staffordshire Bullterrier und deren Mischlinge, bis sie durch Wesenstest nachgewiesen haben, dass sie nicht aggressiv und gefährlich sind. Bei bestandener Überprüfung ist der Leinen- und Maulkorbzwang aufzuheben, um artgerechte Haltung zu ermöglichen.

(Anmerkung: Obwohl ein prinzipieller Leinen- und Maulkorbzwang aus ethologischer Sicht nicht gutzuheißen ist, da diese Zwangsmaßnahmen auch bei friedlichen Tieren Aggressionen aufbauen können!

Auffällig gewordene Hunde sind sofort einem Wesenstest durch verhaltenstherapeutisch geschulte Tierärzte zu unterziehen. Das Ergebnis entscheidet über die zu ergreifenden Maßnahmen, an deren Ende ggf. auch die Euthanasie steht.

(Anmerkung: Derzeit wird ein standardisierter Wesenstest von ethologisch spezialisierten Tierärzten erarbeitet.)

Auffällig gewordene Hunde und solche, die einen Wesenstest nicht bestanden haben, sind unfruchtbar zu machen.

Die sofortige Einführung einer eindeutigen Kennzeichnungspflicht durch Mikrochip, um die unverwechselbare Identifizierung der Tiere zu ermöglichen. Insbesondere im Hinblick auf erteilte Auflagen stellt dies eine zwingende Notwendigkeit dar.

Unabhängig von einem Importverbot ein Zucht- und Handelsverbot für Tiere der Rassen American Pitbull, American Staffordshire, Staffordshire Bullterrier und deren Mischlinge soweit diese einen obligaten Wesenstest nicht bestanden haben.

Grundsätzliches Verbot einer auf Aggression gegen den Menschen ausgerichteten Ausbildung von Hunden

Im Hinblick auf eine gesetzliche Regelung ist für Halter von auffällig gewordenen Hunden bzw. von definitionsgemäß als gefährlich eingestuften Tieren ein Halter-Eignungsnachweis (Schulungsauflage) zu entwickeln. Dies gilt auch für Halter von Schutzhunden.

III. Aus Sicht des praktischen Tierarztes nicht zu ziehende Konsequenzen

Ein in einigen Ländern angedachtes grundsätzliches Haltungsverbot bestimmter Rassen muss dagegen aus rechtlichen und tatsächlichen Erwägungen ausscheiden:

Die generelle Einziehung der Hunde bestimmter Rassen aufgrund eines Haltungsverbotes, unabhängig von der Tatsache von gefährlich oder nicht-gefährlich bzw. auffällig geworden sein, verletzt den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und wird rechtlicher Überprüfung nicht standhalten. Die Einziehung nicht auffällig gewordener Tiere stellt einen enteignungsgleichen Eingriff dar und ist eigentumsrechtlich nicht haltbar.

Diese Einziehung von Tieren und deren Unterbringung in Tierheimen bedeutet eine lebenslange Verwahrung der Tiere in Käfigen. Dies stellt einen Verstoß gegen das Tierschutzgesetz dar (Grundsatz des Abwendens von Leiden eines Tieres § 1 Tierschutzgesetz). Gegen das gesetzliche Ziel artgerechter Haltung wird nachhaltig verstoßen.

Wegen Überfüllung der Tierheime würde auch in diesen Fällen letztlich die Euthanasie der Tiere stehen, unabhängig von ungefährlich, gefährlich oder auffällig geworden. Die zwangsweise notwendig werdende undifferenzierte Tötung der Tiere stellt eine Straftat nach § 17 Tierschutzgesetz dar, wenn ungefährliche Tiere getötet werden.

IV. Abschließende Bemerkung

Wird das Erfordernis des Nachweises eines "berechtigten Interesses" bzw. "besonderen Bedürfnisses" zur weiteren Haltung der vorhandenen Tiere eingeführt, so wird vorsorglich darauf hingewiesen, dass die Anwendung dieser unbestimmten Rechtsbegriffe zu einer von Ort zu Ort unterschiedlichen Verwaltungspraxis führt. Werden die Voraussetzungen eines berechtigten Interesses bzw. besonderen Bedürfnisses von der zuständigen Behörde als nicht ausreichend eingestuft, bedeutet dies, dass die weitere Haltung des Tieres untersagt wird und das Tier eingezogen werden muss - wiederum ungeachtet, ob gefährlich oder nicht-gefährlich. Zur rechtlichen Bedenklichkeit wird auf vorstehende Ziffer III verwiesen.

Frankfurt am Main, den 04.07.2000